Warum schäme ich mich?

Hallo zusammen,

heute möchte ich gern über das Thema Scham reden. Das Thema liegt mir sehr nah, weil ich mit diesem Gefühl in meinem Leben viel Zeit verbracht habe und spüre das immer noch in verschiedenen Situationen. Dazu kommen zwei tolle Videos, einige Tipps und meine Kommentare.

Erstmal kommt aber ein wenig Theorie. Scham ist ein Gefühl, das eine Person in dem Moment erlebt, in dem die Verbindung zu anderen Menschen und die Unterstützung der Umwelt verloren gehen (real oder projektiv). Gleichzeitig erfährt der Mensch ein Widerspruch zwischen dem, was er „hier und jetzt“ ist und dem, was er in dieser Situation sein sollte.
Die Erfahrung von Scham charakterisiert sich durch eine plötzliche Unfähigkeit eine Situation zu kontrollieren, wodurch das Individuum nicht in der Lage ist, aktiv und durchdacht zu handeln.
Darüber hinaus geht es in vielen Fällen um eine Situation, wo eine Gefahr für das Selbstbild oder sozialen Image existiert. 

Hier ist ein schönes Video von Sigrid Röseler zum Thema Scham überwinden.

Mich interessiert aber mehr interpersonale Scham, ihre Geschichte und die Fragen: „Aus welchem Grund empfinde ich das Gefühl, wenn keine andere Menschen da sind? und „Wie kann ich damit arbeiten, um das wegzukriegen?“
Die Fähigkeit, Scham zu empfinden, gilt als angeboren. Das heißt, Menschen brauchen das für ihr Leben. Wir sehen uns das genauer an.

In der Psychologie werden attributive Scham und existenzielle (toxische) Scham unterschieden. Attributive Scham bezieht sich auf unangemessenes Verhalten oder individuelle Persönlichkeitsmerkmale, die ein Individuum haben muss.
Attributive Scham ist ein Gefühl, das für die Entwicklung von Individualität und Anpassung in der Gesellschaft notwendig ist, da sie das menschliche Verhalten reguliert. Es fördert die Selbsterkenntnis, erhöht die Sensibilität für die Einschätzungen anderer Menschen und entwickelt die Fähigkeit, die Konsequenzen eigenen Handelns einzuschätzen. In der Erfahrung der Scham gibt es eine Ablehnung von sich selbst unter dem Einfluss der Umwelt. Das hilft sozusagen der Anpassung in sozialem Umfeld und dem Überleben.
Das ist sozusagen „gute oder gesunde“ Scham, was aus uns eine soziale Person macht.

Existenzielle Scham hat dagegen nicht nur mit einzelnen Persönlichkeitsmerkmalen oder Verhalten etwas zu tun. In diesem Fall hängt das mit der ganzen Persönlichkeit zusammen. Es wird angenommen, dass es durch den Verlust des Grundvertrauens und den Mangel an Liebe in den Anfangsstadien der Entwicklung eines Menschen entsteht, wenn er noch nicht in der Lage ist, zwischen individuellen Charakterzügen und Verhaltensweisen zu unterscheiden.

Das Kind erfährt generelle Ablehnung – „Nicht so ein!“ (Du bist nicht das, was wir wollen!) Es ist manchmal eine verbale, öfter nonverbale Nachricht einer Autoritätsperson (verächtliches Aussehen, erniedrigendes Verhalten, Verweigerung der Akzeptanz und Respekt). Daher kann das Kind die einfache Frage „Was heißt denn: Nicht so ein, – Wie soll ich denn sein?“ für sich nicht beantworten.

In diesem Fall schämt er sich nicht für etwas Bestimmtes, sondern für eigene grundlegende Mangel. Dies ist ein Zustand der Unvollständigkeit der Identität, ein ungeformtes Bild des Ich’s, das durch seine eigene Minderwertigkeit und Selbstverachtung gefärbt ist. Ohne zu wissen, was mit ihm nicht in Ordnung ist, fühlt sich das Kind chronisch unangemessen und erlebt Scham. Dann kann sich das Kind und später Erwachsener schlechter als andere fühlen, aber nicht genau erklären warum.

Nach meiner Meinung das Schamgefühl ist ein Stopp der Erregung, der mit der Verwirklichung eines Bedürfnisses verbunden ist, was sich dem Prozess des Einfrierens ähnlich ist. Dieses Gefühl kann mit der Verachtung einer anderen Person, mit der eigenen Demütigung oder Minderwertigkeit sowie Unrichtigkeit und Versagen zusammenhängen.

Ich musste sehr früh erfahren, dass meine Eltern meistens mit ihren Problemen beschäftigt waren. Die Sprüche: „Jetzt nicht!, Geh spielen!, Lass mich in Ruhe!, Siehst du nicht, dass ich beschäftigt bin?“ und andere gaben mir zu verstehen, dass ich nicht so wichtig bin und meine Suche nach Aufmerksamkeit einstellen soll.
Das ist übrigens ein wichtiger Punkt. Schamgefühl geht oft mit einem Verbot einher.
Das heißt: mein Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, Nähe, Liebe wird von mir selbst zurückgedrängt und ein inneres Verbot für solche Handlungen verhängt, weil die Situation manchmal nicht nur mit einem emotionalen Ausbruch meiner Eltern, sondern auch mit einer Klatsche enden kann. Aus solchen Erfahrungen lernt man auch für das weitere Leben, vergisst aber diese Verbote und fragt sich danach: „Wieso scheue ich denn neue Beziehungen einzugehen?“

Noch ein Beispiel dazu, viele Menschen haben Angst öffentlich aufzutreten. In diesem Fall handelt es sich, nach meiner Meinung, nicht nur um die Angst abgelehnt zu werden, sondern geht oft mit einem inneren Verbot einher, sich zu zeigen, auf sich Aufmerksamkeit zu ziehen. Genauso läuft es, wenn man um Hilfe bitten soll, Respekt einfordert, sexuelles Interesse erfragt usw.

Was kann man denn da machen?
Am besten bearbeitet man solche Sachen mit einem Psychologen. Wenn man sich das nicht leisten kann oder nicht tun will, kann man Folgendes ausprobieren.

1. Findet heraus, welche eure Manifestationen als schämig oder als Schande empfunden werden und versucht sie besser zu verstehen.
2. Beantwortet, aus welchem Grund ist es schämig oder eine Schande. Es ist wichtig, dass alle Gründe und Aspekte gefunden werden.
3. Findet die Bedürfnisse. Was wollt ihr genau in dieser Situation erfüllen/befriedigen?
4. Versucht diese Bedürfnisse zu rehabilitieren (da ist nichts Schlechtes dabei).
5. Beobachtet, was ändert sich in eurer Wahrnehmung zu diesen euren Bedürfnissen.
6. Nach dieser Vorbereitung geht in die Situationen, die mit Scham verbunden sind und bleibt drin, versucht nicht wegzulaufen, egal wie unangenehm das ist. Atmet tief und ruhig weiter, beobachtet, was mit euch und um herum passiert.

Jetzt kommt noch ein Video zum Thema, von dem ich wirklich begeistert war.

Scham ist ein von den dunkelsten und vielleicht unangenehmsten Gefühlen, mit denen wir in unserem Leben zu tun haben. Klar, wir können weiter damit leben und in bestimmten Situationen auch leiden. Oft passiert aber, dass wir dadurch unser Potenzial nicht vollständig entwickeln können. Scham bremst unser Wachstum und Entwicklung.
Wollen wir das wirklich?

Euer Roman

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Über Roman Mendelev

vom Konflikt über Diplomatie zum Frieden
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